„It’s never too late“ –Einblicke in das Leben reisender Schauspieler  – die White-Horse-Schauspieler im Gespräch mit der EGE-Schülerzeitung „Newspager“

Ob mit 11 Jahren im Schultheater oder erst mit 41 bei einer Amateurgruppe – der Weg in die Schauspielerei ist für jeden anders. Das White Horse Theatre ist bekannt für seine einzigartigen Inszenierungen und seine besondere Mission, englischsprachiges Theater direkt an Schulen zu bringen. Doch was bedeutet es eigentlich, Teil dieser reisenden Theatergruppe zu sein? Wie sieht der Alltag der Schauspieler aus, die ständig unterwegs sind, um Schüler in ganz Deutschland mit ihren Stücken zu begeistern?

Am 23. Januar 2025 waren die Schauspieler des White Horse Theatre zu Gast und haben mit dem Newspager über ihr Leben auf Tour gesprochen. Wie kommt man überhaupt zur Schauspielerei? Was sind die besonderen Erlebnisse auf Tour? Und wie fühlt es sich an, monatelang unterwegs zu sein? In diesem Interview geben sie spannende Einblicke in ihren Alltag, erzählen von unerwarteten Momenten auf der Bühne und verraten, warum sie ihren Job so lieben.

Das Interview wurde ursprünglich auf Englisch geführt und für diesen Artikel ins Deutsche übersetzt.

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Jono: Mein Name ist Jono. Ich bin 45 Jahre alt und komme aus Wrexham in Nordwales.

Nathalie: Hallo, ich bin Natalie, 32 Jahre alt, und ich komme aus Bolton im Norden Englands.

Bruce: Also, mein Name ist Bruce, ich bin 30 Jahre alt und komme aus Essex, das liegt im Südosten Englands.

Jesse: Hi, mein Name ist Jesse, ich bin 29 Jahre alt und komme aus London.

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Unsere erste Frage wäre: Was hat euch dazu gebracht, eine Karriere in der Schauspielerei anzustreben? Was hat euch dazu bewegt?

Jesse: Schöne Frage! Warum erzählst du nicht als Erstes? Du bist ja der Neuste in unserer Runde.

Jono: Ja, meine Geschichte ist nicht gerade konventionell… oder vielleicht doch? Ich bin mir nicht sicher. Ich habe erst vor vier Jahren mit dem Schauspiel angefangen – mit 41. Ich hatte damals einige persönliche Probleme und brauchte ein neues Hobby. Also bin ich zu meiner lokalen Amateurtheatergruppe gegangen – und war sofort begeistert. Ich habe immer mehr gemacht und mich total in das Theaterleben verliebt – die Gemeinschaft, den kreativen Prozess, das Lernen. Vor zwei Jahren hatte ich dann das Glück, meinen ersten bezahlten Job als Schauspieler zu bekommen, und das hat mich schließlich hierher geführt. Ich habe mich bei White Horse Theatre beworben – und jetzt bin ich hier. Tatsächlich möchte ich nach diesem Engagement eine formale Schauspielausbildung machen. Ich gehe den Weg quasi rückwärts: Ich arbeite erst professionell und gehe dann auf die Schauspielschule. Ich bewerbe mich gerade für verschiedene Schauspielschulen für den nächsten September, während ich hier noch bis Juli spiele. Das ist also mein Weg ins Schauspiel gewesen.

Jesse: Und es zeigt, dass man wirklich alles machen kann.

Jono: Ja, es ist nie zu spät.

Jesse: Das ist dein Motto, oder? Es ist nie zu spät.

Jono: Genau. Es ist nie zu spät.

Jesse: Bei mir war es ganz klassisch. Ich habe in der Schule mit dem Schauspiel angefangen. Ich war als Kind extrem schüchtern und nicht besonders selbstbewusst, aber ich habe es immer geliebt, ins Theater zu gehen und mir all diese großartigen Inszenierungen anzusehen. Ich war der ruhige Typ, aber sobald ich auf der Bühne stand, in einem tollen Kostüm, eine ganz andere Person spielte – das hat mir so viel Spaß gemacht! Das war es, was mich auf diesen Weg gebracht hat. Ich habe zwischen Schauspiel und Lehramt geschwankt, weil ich auch gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeite – und mit diesem Job kann ich beides verbinden, was einfach großartig ist.

Bruce: Bei mir fing es schon sehr früh an. Ich habe als Kind viele Pantomimen und Theaterstücke gesehen, aber der richtige Funke kam mit etwa 11 Jahren. Damals haben wir in der sechsten Klasse unser Abschlussstück gemacht, und seitdem habe ich nie mehr zurückgeblickt – seitdem wollte ich immer nur Schauspieler sein.

Warst du ein Kinderschauspieler?

Bruce: Nicht wirklich. Ich habe erst nach der Schule angefangen, mit etwa 17. Seit neun Jahren arbeite ich jetzt professionell, vor allem im Theater, aber auch in Filmen und im Radio. Das Schönste an diesem Beruf ist, dass man durch eine Rolle, durch eine Geschichte, anderen Menschen Freude bereiten kann.

Jono: In welchem Film warst du noch mal, Bruce?

Bruce: Vor ein paar Jahren war ich in Black Widow von Marvel dabei. Es gibt eine Szene in einem russischen Gefängnis, in der die beiden Hauptfiguren, Florence Pugh und Scarlett Johansson, versuchen, David Harbours Charakter aus dem Gefängnis zu befreien. Es sollte aussehen, als wäre es minus 30 Grad kalt – tatsächlich war es aber ein brütend heißer Tag. Zwischen den Takes liefen Assistenten mit riesigen Wassertanks herum und versuchten, uns so viel Wasser wie möglich überzuschütten, weil alle Statisten in dicken Ledermonturen und kompletter Polizeiausrüstung steckten, damit niemand einen Hitzschlag bekam. Aber ja, das war wahrscheinlich mein größter Filmjob – und es hat richtig Spaß gemacht.

Nathalie: Ich habe das Schauspiel immer geliebt, schon als Kind. Ich konnte aber nie genau erklären, warum. Irgendwie habe ich mich auf der Bühne immer wohler gefühlt als außerhalb. Draußen in der Welt ist alles verwirrend – aber sobald ich auf der Bühne stehe, kann ich Emotionen verarbeiten, Situationen durchspielen, die mir vielleicht nicht selbst passiert sind, aber mit denen ich mich trotzdem identifizieren kann. Man schlüpft in so viele verschiedene Rollen, das hat mich immer fasziniert. Ich habe aber erst einmal nicht Schauspiel studiert, sondern bin in die Naturwissenschaften gegangen und habe Veterinärmedizin studiert. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass mir die Theaterprojekte an der Uni wichtiger waren als mein eigentliches Studium – und das war ein Problem. Also habe ich die Tiermedizin aufgegeben und versucht, an Schauspielschulen angenommen zu werden. Es hat nicht geklappt – es ist ein unglaublich harter Wettbewerb. Also bin ich einfach direkt ins Berufsleben gestartet. Ich arbeite jetzt seit sechs Jahren als professionelle Schauspielerin – na ja, eigentlich eher vier, wenn man die COVID-Zeit abzieht.

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Was war eure interessanteste Erfahrung mit Kindern oder Schülern?

Jesse: Oh, das war interessant. Ich habe viel mit jüngeren Schülern in der Grundschule gearbeitet, und eine der lustigsten Erlebnisse war während einer Show, in der wir eine Tanzszene hatten. Wir mussten alle Kinder dazu bringen, aufzustehen und mitzumachen – es war eine feste Choreografie, mit Handbewegungen und ein bisschen Wackeln. Dann schaue ich nach rechts und sehe dieses winzige Kind, das mir direkt in die Augen schaut… und twerkt! Nicht so ein großes, auffälliges Twerking, sondern so ein richtig präzises, kleines. Und ich dachte nur: Oh mein Gott! Das Kind war vielleicht sieben oder acht Jahre alt. Ich war völlig perplex. Wie wusste es überhaupt, wie das geht? Ich kann mich nicht mal so bewegen! Das war definitiv eine der verrücktesten Erfahrungen, die ich je im Theater mit Kindern hatte.

Jono: Ich hatte erst gestern eine merkwürdige Situation. Ich habe euch ja erzählt, dass wir ein Stück namens Promised Land spielen, in dem ich eine ziemlich unangenehme Figur spiele – er ist rassistisch, und in einer Szene gehe ich ins Publikum und mustere die Leute grimmig, während ich rauche. Gestern habe ich das bei einem Jungen im Publikum gemacht, habe ihn angestarrt, so mit der Zigarette im Mund – und er hat mir zugezwinkert und mir eine Kusshand zugeworfen! Ich war völlig aus dem Konzept. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um in der Rolle zu bleiben. Das war echt seltsam – und ist erst gestern passiert!

Nathalie: Das erinnert mich an etwas. Vor ein paar Jahren habe ich in England Theaterpädagogik gemacht und wir haben An Inspector Calls gespielt – ein Stück, das viele Schüler im Englischunterricht lesen. Ich hatte eine Szene, in der wir eingefroren stehen mussten, während der Erzähler den nächsten Abschnitt erklärte. Ich musste dabei direkt ins Publikum schauen – und oft kam es vor, dass ich aus Versehen Blickkontakt mit jemandem gehalten habe. Und fast immer haben diese Leute versucht, mich zum Lachen zu bringen. Ich erinnere mich besonders an einen Jungen – ich schaute in seine Richtung, und er begann Grimassen zu schneiden, zog die seltsamsten Gesichter und winkte mir zu. Ich versuchte verzweifelt, nicht zu lachen, aber er hat es geschafft. Er hat mich geknackt! Ich konnte nicht verhindern, dass meine Mundwinkel zuckten.

Bruce: Das erinnert mich an eine Geschichte aus meiner Schauspielschulzeit. Wir haben damals eine Theaterproduktion für Schulen gemacht, in der ich einen Lehrer spielen musste. Der Lehrer trug eine Brille, aber unser Budget war so knapp, dass wir kreativ werden mussten. Also sind wir ins Odeon-Kino gegangen und haben dort diese kostenlosen 3D-Brillen aus dem Foyer genommen. Wir haben einfach die 3D-Gläser herausgeschnitten, und ich habe die Brille die ganze Vorstellung über getragen. Irgendwann kam ein Kind nach der Show zu mir, starrte mich lange an und sagte dann nur: “Das sind Odeon-Brillen.” Und das Einzige, was mir in dem Moment einfiel, war: “Nun, junger Mann, Odeon ist ein ausgezeichneter Optiker.” Der Blick, den er mir gegeben hat, war einfach unbezahlbar.  Ich werde das nie vergessen

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Wie empfindet ihr die Landschaft hier? Ist sie sehr anders als zu Hause?

Jesse: Ja, für mich auf jeden Fall. Ich liebe es hier. Eigentlich liebe ich ganz Deutschland. Wir alle genießen die Landschaft, und weil wir so viel herumreisen, bekommen wir die unterschiedlichsten Orte zu sehen. Aber ich komme aus London bzw. aus der Umgebung von London, wo es ziemlich flach ist – nicht besonders spannend. Klar, London ist cool, aber die Landschaft hier ist einfach wunderschön und so weitläufig. Was mir in Deutschland schon immer aufgefallen ist: Der Himmel wirkt hier viel größer als in Großbritannien. Man kann von einer Ecke zur anderen sehen – einfach atemberaubend.

Nathalie: Ja, in Großbritannien wirkt alles irgendwie kleiner.

Jesse: Ja, es fühlt sich an, als wäre alles zusammengequetscht auf dieser winzigen Insel. Aber es ist großartig, in Deutschland zu sein, und die Landschaft ist einfach unglaublich. Für Bruce und mich ist es das zweite Mal hier in Annaberg-Buchholz – ich hoffe, ich habe das richtig gesagt! Wir mochten es schon beim ersten Mal. Damals war es Frühling, und es war einfach wunderschön. Und jetzt sind wir im Winter hier – mit den verschneiten Bergen und dieser beeindruckenden Kulisse.

Bruce: Beim ersten Mal haben wir direkt am ersten Abend einen langen Spaziergang durch die ganze Stadt gemacht – ziemlich spät in der Nacht.

Jesse: Sehr spät. Aber es war warm, so eine frühlingshafte Wärme.

Bruce: Warm und dunkel – ich liebe das.

Nathalie: Ich komme aus Nordengland, und die Landschaft hier erinnert mich ein bisschen an eine größere Version meiner Heimat. Bei uns gibt es auch viele Hügel, besonders an der Grenze zu Wales.

Jono: Genau das wollte ich auch sagen – es erinnert mich an Wales! Ich komme aus Nordwales, mit Snowdonia und all diesen wunderschönen Bergen. Aber hier ist einfach alles größer – es ist die gleiche Schönheit, nur in einer viel größeren Dimension.

Nathalie: Und ohne diese riesigen Wälder und Bäume.

Jono: Oh, genau!

Nathalie: Bei uns gibt es viele Eichenwälder, aber eher kleinere, kompakte Wälder. Hier sind die Bäume einfach viel höher.

Bruce: Ja, der Schwarzwald ist einfach atemberaubend.

Jesse: Absolut, einfach unglaublich!

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Könnt ihr uns etwas darüber erzählen, wie der Weg hierher war und wie ihr euch auf ein Projekt wie dieses vorbereitet?

Bruce: Nun ja, im Alltag läuft es so ab, dass wir am Abend vorher die Lehrkraft der Schule anrufen, um alles abzusprechen. Dann arbeiten wir rückwärts: In unserem Firmenordner haben wir die festen Zeiten für die Shows festgelegt. Wir planen etwa eine Stunde bis 75 Minuten ein, um anzukommen, unseren Transporter auszuladen – das passiert unten –, alles aufzubauen und vorzubereiten. Dann berechnen wir, wann wir aufstehen müssen und wie lange die Fahrt dauert.

Jesse: Ja, es war in letzter Zeit ein etwas chaotischer Prozess, weil wir mit Krankheitsfällen zu kämpfen hatten. Wir waren also noch recht frisch in den Proben. Für Bruce ist das jetzt schon sein zweites Jekyll & Hyde, er kam zur Weihnachtszeit dazu und hat einen großartigen Job gemacht. Normalerweise wären jetzt schon alle Schauspieler auf Tour, aber manchmal kommt eben das Leben dazwischen – Menschen werden krank oder haben persönliche Gründe. Und nicht jeder möchte unbedingt dauerhaft in Deutschland leben und reisen.

Jono: Es ist eine große Verpflichtung.

Jesse: Ja, das ist es definitiv.

Jono: Natalie und ich haben beide im August angefangen. Und abgesehen von der Weihnachts- und Osterpause bist du fast das ganze Jahr hier – bis Juli. Das sind elf Monate, eine lange Zeit. Das ist nicht für jeden etwas, aber für mich persönlich ist es unglaublich bereichernd. Ich liebe es.

Jesse: Ich auch. Ich liebe es wirklich.

Jono: Jede einzelne Minute.

Jesse: In letzter Zeit waren wir auch viel in den Proben, was ziemlich intensiv war – lange Arbeitstage, um sicherzustellen, dass jeder seinen Text draufhat und bereit ist. Wie du heute gesehen hast, hatte ich mein Skript noch mit auf der Bühne. Manchmal geht das Lernen schneller, manchmal braucht es länger, aber am Ende schaffen wir es immer. Und wir lieben es, eine gute Show auf die Beine zu stellen.

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Habt ihr Tipps zum Schauspielern?

Jesse: Oh, Tipps zum Schauspielern.

Jono: Für mich würde ich sagen, dass ich mich zwar noch mehr mit den Grundlagen wie Bewegung und Sprache beschäftigen möchte, aber was mir hier wirklich geholfen hat, war, von anderen zu lernen. Ich denke, man lernt ständig dazu, oder?

Jesse: Ja, man sollte sich nie selbst einschränken. Ich habe Schauspiel und Zeichnen auch im Bildungsbereich studiert, aber man sollte immer offen bleiben, sich weiterentwickeln, sich von anderen inspirieren lassen und von ihrer Energie profitieren – genau das tun wir ja auch. Das ist wichtig und hilft dir dabei, deinen eigenen Stil zu finden.

Jono: Absolut! Wenn du eine große Leidenschaft dafür hast, wird das ganz automatisch passieren. Du wirst von selbst versuchen, so viele verschiedene Einflüsse wie möglich aufzunehmen. Mein größter Tipp wäre also: Mach einfach weiter! Auch wenn es keine professionellen Jobs sind – melde dich für Improvisationskurse an, besuche Screen-Acting-Workshops und probiere verschiedene Bereiche des Schauspiels aus. Es gibt so viele Möglichkeiten da draußen.

Nathalie: Ich würde sagen, das Wichtigste ist, dass du es liebst – dass du aus Leidenschaft schauspielerst. Schauspiel ist so subjektiv. Jemand kann einen Schauspieler großartig finden, während ein anderer genau das Gegenteil denkt. Wir alle haben schon Filme gesehen, die wir fantastisch fanden, während andere die Schauspielkunst darin furchtbar fanden. Es ist irgendwie seltsam. Wenn du an dir selbst zweifelst, ist es wichtig, nicht zu sehr auf andere zu hören. Natürlich solltest du von anderen lernen, aber ohne dein Selbstvertrauen zu verlieren. Solange du es liebst und weitermachst, solltest du dir keine Sorgen darüber machen, was andere davon halten.

Bruce: Ich habe eigentlich nichts hinzuzufügen – außer dem, was hier schon gesagt wurde: Sei vorbereitet, sei höflich, sei positiv.

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