Einhundertdreißig Schülerinnen und Schüler der Evangelischen Schulgemeinschaft Erzgebirge Annaberg-Buchholz erinnern im Januar 2020 auf der Theaterbühne an den 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungs- und Arbeitslagers Auschwitz, in dem sie ein einzigartiges musikalisches Theaterprojekt präsentieren, in dessen Zentrum das Frauenorchester dieses unmenschlichen Ortes steht.
Die Mitgliederinnen des Orchesters, die in der Zeit ihrer Internierung in Auschwitz z.T. kaum älter waren als die beteiligten Schülerinnen und Schüler der Aufführungen, mussten musikalische Zwangsarbeit verrichten. Diese rettete ihr Leben aber sie bezahlten für ihr Überleben einen furchtbaren Preis: sie mussten spielen, während ihre Mithäftlinge ankamen, selektiert wurden und in die Gaskammern gingen, oder am Lagertor, während die Arbeitskommandos aus dem Lager getrieben wurden, auf Exekutionen oder zum abendlichen Amusement der SS-Leute im Lager. Für all das wurden sie von den Mithäftlingen gehasst. Musik blieb dennoch ihr Rettungsanker und bewahrte ihnen ein Rest Menschlichkeit in für sie lebens-feindlicher Umgebung. Bildrechte: Gedenkstätte Auschwitz
Das Drehbuch entstand im Rahmen der Besonderen Lernleistung (BELL) Emma Schröer (Klasse 12), die sich mit der Bedeutung von Musik an der Grenze des Lebens am Beispiel des Auschwitzer Frauenorchesters beschäftigt. Im Praktischen Teil dieser Arbeit wurde das Theaterstück „Spiele um Zeit“ auf seine historische Authentizität hin untersucht und auf Grundlage zahlreicher Augenzeugenberichte revidiert. Der Musikleistungskurs (Abiturjahrgang 2020) stellt den Kern der 22köpfigen Schauspieler- und Musikergruppe. Der EGE-Jugendchor gestaltet Massenszenen und Klangkulissen und musiziert wie das gesamte Ensemble Musik, die in Auschwitz und Theresienstadt erklungen ist.
Mit dem gesamten Ensemble fand im November 2019 eine dreitägige Exkursion nach Auschwitz statt, die hier nachgelesen werden kann.
Das Projekt wird in Kooperation mit dem Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz durchgeführt. Die Theaterpädagogin und Dramaturgin Asia Schreiter unterstützt als externe Betreuerin nicht nur die BELL von Emma Schröer, sondern begleitet auch die Proben- und Regiearbeit.
Das Theaterprojekt zeigt ein Stück ambivalenter Kulturgeschichte Deutschlands und Europas; es erinnert und ehrt die Umgekommenen und Überlebenden. Das Stück bietet einen emotionalen und informativen Blick in die Abgründe der eigenen Geschichte in einer Region, in der Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz weitere Verbreitung im Denken und Lebensgefühl von weitaus mehr Menschen Fuß gefasst zu haben scheint, als das in anderen Teilen Deutschlands der Fall ist. Es gerät dabei zum Spiegel auf die großartigen Möglichkeiten unseres Lebens in demokratischer Freiheit. Das Musiktheaterprojekt der Evangelischen Schulgemeinschaft Erzgebirge verleiht dem Wort Erinnerungs-Kultur einen ganz neuen und vielschichtigen Klang.
Fotos: Sebastian Paul
Die folgenden Szenen entstammen einer das vollständige Theaterstück dokumentierende DVD, die für 10 Euro im Sekretariat erhältlich ist.
Eröffnungsszene: Ankunft und Entmenschlichung
Spiel am Lagertor: Musikalische Zwangsarbeit
Epilog: den Hass überwinden
Hier noch 2 Radiobeiträge von Heike Schwarzer, MDR Kultur, 11. und 24.1.2020
MDR Kultur_Das unfassbare erklären
MDR Podcast der Sendung „Zwischen lauten Protesten und stillem Gedenken“
Emma Schröer und Daniel Zwiener im Landesfunkhaus des MDR in Dresden in einer Diskussionsrunde über Erinnerungskultur im Februar 2020. (Foto: Stephan Wiegand/ MDR)
Gefördert im Rahmen des Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“