Jugendchor und Theatergruppe in Auschwitz

Im Zuge der Vorbereitungen für das abendfüllende Musiktheaterstück „Spiel des Grauens. Das Frauenorchester von Auschwitz“, das aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung des Vernichtuntslagers zur Aufführung kommen wird, fuhr das gesamte Ensemble für drei Tage nach Südpolen, um diesen Ort mit seiner furchtbaren Geschichte zu erkunden. Jugendchor, Theatergruppe und die Leistungskurse Geschichte erlebten miteinander eine intensive Zeit, die vor allem eines ist: Denk-Mal.

 

Mir lebn ejbik! (Bericht von Celine Dressel, 10d)
Millionen gefolterte und ermordete Juden, Sinti und Roma, „Asoziale“, Oppositionelle. Millionen Gesichter mit Millionen Schicksalen, Millionen Geschichten. Und sie verblassen.
In der Zeit vom 27. – 29. November war der Jugendchor der EGE mitsamt einigen Lehrkräften wieder auf der jährlichen Chorfahrt. Von vergangenen Fahrten sind wir bisher an freudige Erinnerungen von amüsanten Proben und unvergesslichen bunten Abenden gewöhnt. Doch dieses Jahr war anders. Anlässlich des Theaterstückes „Spiel des Grauens. Das Frauenorchester von Auschwitz“, welches im kommenden Frühjahr einen Platz auf der Bühne finden wird, waren wir dieses Jahr nicht im gewohnten Colditzer Schloss zu Gast, sondern im Zentrum für Dialog und Gebet in Auschwitz, nahe dem ehemaligen Konzentrationslager.
Dem einen oder anderen läuft bereits bei der Erwähnung dieses Ortes ein kalter Schauer über den Rücken – wie muss es also sein, sich genau an diesem Ort zu befinden, hinter den Stacheldrahtzaun zu treten, Bilder von abgemagerten Menschen zu sehen, ja, selbst in einer Gaskammer zu stehen?
Am Mittwoch, dem 27. November ’19, machten wir uns früh am Morgen in insgesamt zwei Reisebussen auf den Weg nach Polen. Mit einigen Pausen einbegriffen waren wir ungefähr zehn Stunden unterwegs. Vielen Menschen ist wohl gar nicht bewusst, dass Auschwitz (polnisch: Oświęcim) nicht nur der Name des größten KZ, sondern auch eines ganzen Ortes ist. So fuhren wir bei unserer Ankunft auch nicht durch einen Ort des Schreckens, sondern einen Ort des Lebens. Angekommen im CdiM wurden erst einmal die Zimmer bezogen und Abendbrot gegessen. Wir waren überwältigt von liebevoll gedeckten Tischen und mehreren Gängen, so war zum Beispiel auch immer ein Salat dabei.
Was wären wir für ein Chor, wenn wir nicht singen würden? Doch dieses Jahr wären uns fröhliche Töne vielleicht eher mit Unbehagen entwichen, stattdessen bekamen wir am Abend von einigen der mitspielenden Schüler das Theaterstück komplett (bis auf einige Orchesterstücke) vorgespielt und stimmten an unseren Stellen mit ein. Nachdem Herr Zwiener nach einer Abendandacht dann endlich mit einem Lächeln sein „Gute Nacht“ verlauten ließ, fielen wir ohne weiteres ins Bett – denn am nächsten Morgen gab es schon wieder um 6:30 Uhr Frühstück. Gut gesättigt und warm eingepackt machten wir uns schließlich in zwei Gruppen geteilt auf den Weg nach Auschwitz-I und Auschwitz-II-Birkenau.

Was wir dort gesehen haben, werden wir nie vergessen. Eindrücke der Folter, des Todes, des Überlebenskampfes, der Qualen, des Hungers, der Unmenschlichkeit, der Skrupellosigkeit, des Hasses, der Trauer, des Grauens. Auch jetzt nach dieser Fahrt können wir immer noch nicht ansatzweise begreifen, wie ein Mensch – ohne mit der Wimper zu zucken – einem und Millionen anderen Menschen(!) so etwas … (ich finde keinen Ausdruck hierfür!) antuen kann. Wieviel braucht es, um aus Menschen Monster zu machen? Wie wurden aus Menschen Nummern?
Nach diesen Führungen, die jeweils vier Stunden dauerten, trafen wir uns wieder alle im Zentrum für Dialog und Gebet zum Mittagessen. Nachmittags ging es dann für alle zum Hauptlager (Auschwitz-I) – dort waren wir aufgeteilt in verschiedene Workshops, in denen wir uns mit Kunst im Lager, den Tätern, Schicksalen verschiedener Opfer, Musik im Lager und der SS allgemein beschäftigten. Auch hieraus haben wir uns viel Information und Bilder mitgenommen, die wir niemals vergessen werden.
Nach einer anschließenden Freizeit im Ort und dem gemeinsamen Abendessen im Quartier setzten wir uns gegen 19 Uhr in Gruppen zusammen, die so zusammengestellt waren, dass in jeder jeder Workshop vertreten war. Wir tauschten uns über das Gelernte aus und teilten unsere Meinungen dazu. Danach hatten wir im Sinne eines Begegnungsabends Zeit zum Kreativwerden, Singen, Reden, Beten, Lesen, Schreiben und über die Zukunft Nachdenken. Auch dieser Abend schloss mit einer Andacht, vielen schweren Gedanken und Herr Zwieners „Gute Nacht“.

Den Morgen des 29. Novembers begannen wir wieder mit einem friedvollen Frühstück um 6:30 Uhr. Danach wechselten die zwei Gruppen vom Vortag und es ging wieder los in die Konzentrationslager.

Auch diesmal ließ uns das Gesehene nicht kalt und es flossen einige Tränen. Nach dem letzten Mittagessen im CdiM packten wir unsere Koffer und Taschen in den Stauraum der Busse und machten uns auf den Weg zur alten Judenrampe, etwa inmitten von Auschwitz-I und Auschwitz-II. Wieder ein sehr emotionaler Moment für den gesamten Chor. Dort stehen noch zwei der Waggons in denen weiß Gott wie viele Menschen qualvoll transportiert wurden. Darunter legten wir einen Kranz ab und Steine, die wir vorher beschriftet hatten: Jeder sollte sich aus den vielen Gesichtern, die er gesehen hatte, eines heraussuchen, und das auf seinen Stein schreiben, was er ihm sagen würde. Hoffnung. Vertrauen. Kyrie Eleison. Es gibt Hoffnung. Du bist nicht vergessen! Nie wieder. I’m so sorry. WE WON’T FORGET THE PAST.
Gemeinsam schütteten wir in einer Gebetsrunde Gott unser Herz aus, hörten noch eine Andacht, sangen „Mir lebn ejbik“ aus dem Kopf und aus dem Herzen. Dies war unser Abschied von diesem furchtbaren Ort, jedoch nur ein physischer – aus unseren Köpfen werden wir das niemals rausbekommen. Und warum sollten wir das auch? Das Zitat, mit dem unsere Fahrt überschrieben war, drückt genau das aus: Those who do not remember the past are condemned to repeat it.
Diejenigen, die die Vergangenheiten vergessen sind dazu verurteilt, sie zu wiederholen. (George Santayana) Es ist nicht unsere Schuld. Es ist nicht die Schuld meiner Generation, was damals passiert ist. Aber es ist unsere Pflicht, es uns anzusehen, uns darüber zu informieren, uns dieser Grausamkeit bewusst zu werden, um nicht denselben Fehler wieder zu machen. Unser Volk hat so viel Schuld auf sich geladen, doch diese muss nun nicht uns erdrücken. Jesus Christus hat das alles auf sich geladen. Die Trauer, die wir jetzt empfinden, die Schmerzen, das Leid der gefolterten Häftlinge, die durch die Hölle gegangen sind – ja, selbst die Schuld dieser Massenmörder hat er auf sich genommen, und ist daran zerbrochen. Wir können ihm nur dankbar sein, nur sagen: Kyrie Eleison. Herr, erbarme dich unser.
2019. 30 Jahre ’89, 80 Jahre ’39. Und kommendes Jahr feiern wir 75 Jahre Befreiung der Häftlinge von Auschwitz am 27. Januar 1945. Aber seien wir doch einmal ehrlich mit uns selbst – an wie viele von diesen armen Seelen erinnern wir uns? Von wie vielen haben wir überhaupt einen Namen?
Niemand verdient es, vergessen zu werden, niemand verdient es, zu verschwinden.