Adventskonzert als Hochmusik und Tiefgedanke

Die schon seit zwei Monaten ausverkaufte Annaberger St. Annen Kirche ist festlich in Kerzenlicht getaucht. Über 1000 Zuhörer warten am 16.12.2017 gespannt auf die ersten Töne des diesjährigen Adventskonzertes der Evangelischen Schulgemeinschaft. Der größte Jugendchor der EGE-Schulgeschichte hat auf dem steil vor dem Altar aufstrebenden Chorpodest Aufstellung genommen, das Publikum verstummt. Fast unhörbar beginnt Eric Whitacres polytonale Lichtbetrachtung zum Goldenen Licht an der Krippe („Lux aurumque“), steigert sich in vielen harmonischen Farbvarianten bis in kräftige akustische Wärmestrahlung, um dann wieder in die Ewigkeit zu verklingen.

Ortswechsel: Um die Kanzel in der Kirchenmitte versammelt sich das EGE-Blechbläserensemble. In diesem Jahr wird es erstmals von einem Schüler geleitet. Wer diesem Umstand mit Skepsis begegnet, soll eines Besseren belehrt werden: konzentriert, kraftvoll und mit klarer Körpersprache dirigiert Jonas Engert seine Bläser durch die drei von ihm einstudierten weihnachtlichen Bläsergesänge. Georg Friedrich Händels „Siegesmarsch“ aus dem Oratorium „Judas Makkabäus“ gerät dabei zum enthusiastischen Vorspiel zum Gemeindechoral „Tochter Zion“, in den die Hörerschaft schließlich einstimmt. Mit großem Einsatz und Geschick ist es dem jungen Dirigenten gelungen, seine Mitspieler zu interessieren, zu motivieren, die Stücke erstaunlich intonationsrein einzustudieren und überzeugend gestaltet im Konzert zu präsentieren.

Die Aufmerksamkeit richtet sich wieder in den Altarraum: zum Jugendchor und zahlreichen für das heutige Konzert angereisten ehemaligen der Schule bereits entwachsenen Sängerinnen und Sängern hat sich der Eltern-Lehrerchor gesellt. Das Orchester stimmt die kalten Instrumente, konzentrierte Spannung tritt ein. Verheißungsvoll beginnt Felix Mendelssohns großartige Vertonung des Prophezeihungstextes „Es wird ein Stern aus Jakob aufgehn“ aus dem Oratorienfragment „Christus“. Packend lässt Daniel Zwiener die Voraussage „Er wird zerschmettern Fürsten und Städte“ durch die große Hallenkirche donnern; der 200-Seelen-Chor findet nach nicht enden wollenden, die Größe den Herrn darstellenden polyphonen Sternenschweifen schließlich in den inniglichen, das Stück beendenden Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ hinein, im Wechsel mit dem Orchester wird Staunen hörbar und gleißender Glanz, Gottesgewissheit und innere Ruhe.

Erneut richtet sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer in die Kirchenmitte. Der Mittelstufenchor mit seinen herrlich hellen Stimmen trägt unter der Leitung von Cornelia Pelz ein beherztes „Hosianna, dem der kommt“ aus der Feder von Jörn Philipp und „Lichter leuchten hell“ (Jochen Rieger/ Thomas Eger), das diesen Titel hörbar verdiente. „Lichterzeit, Freudenzeit“ (Klaus Heizmann) ertönt ebenfalls ambitioniert gesungen, bevor abermals der Altarraum ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.

Die über 50 Musiker im Orchester, in dem nun auch das von Lena Zwiener geleitete Orchesterprofil Platz gefunden hat, bringt das Weihnachtliedermedley aus der Feder von Ralph Vaughan Williams zu Gehör. Differenziert musiziert und schwelgend intoniert, erfüllen englische Weihnachtslieder und Sinfonieorchestersound die große Kirche

Foto: Sebastian Paul

Klanglich im Kontrast dazu führt Daniel Zwiener anschließend den großen Chor a capella durch das „Ave Maria“ aus der „Vespermesse“ von Sergej Rachmaninow. Besonders eindrucksvoll gerät das in achtstimmigem Forte komponierte Schuldbekenntnis, dem eine spannungsvoll und zart gestaltete bittende Schlussgeste folgt.

Wie in jedem Jahr spricht Daniel Zwiener zum Publikum einen adventlichen Gruß, verbunden mit einer kurzen Betrachtung zu einem der an diesem Abend musizierten Stücke. In diesem Jahr eignet sich dazu besonders die aus der Feder von Marc Hayes stammende Bearbeitung des Lutherchorals „A mighty fortress is our god“. Lena Zwiener leitet dieses bewegende Stück, das sich stilistisch zwischen Gospelmusik und grandioser Chorsinfonik bewegt.

Im Altarraum ist genau noch Platz für die 25 Sängerinnen und Sänger des Mittelstufenchores, denn kurz vor dem Ende des kurzweiligen Konzertprogramms erklingt Michael Cards „Immanuel“ in der Bearbeitung von Cornelia und Friederike Pelz. Die erstere rührt in ihrer Interpretation dieses Stückes für Kinderchor, großen Chor und Orchester den einen oder anderen Mitwirkenden wie Zuhörer zu Tränen.

Eine Aufforderung steht noch aus: aus Mendelssohns großartigem Oratorium „Paulus“ erklingen neben der weihnachtlichen Ouvertüre und der wirklich mitreißenden Vertonung der Saulus-Wandlung „Mache Dich auf, werde Licht!“ der kraftvoll in Szene gesetzte Choral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“. Chor und Orchester laufen noch einmal zur Höchstform auf. „Ihr müsset ihm entgegen gehn“, dies musikalisch zu tun, ist den fast 300 Mitwirkenden eine Herzenssache, wer will das bestreiten.